Love Disability- Hate § 218!

Redebeitrag zur Demo „1000 Kreuze in die Spree!“ am 18.9.2010 in Berlin

Vor etwa einem Jahr hat der Bundestag eine Verschärfung des Schwangerschaftkonfliktgesetzes (SchKG) beschlossen. Das neue Gesetz bewirkt vor allem eins: eine zunehmende Individualisierung der Verantwortung zu Lasten von Frauen. Der Blick auf Behinderung und Krankheit bleibt dabei unverändert.

Die Neuregelung betrifft Abtreibungen nach der 12. Schwangerschaftswoche (SSW), die im Fall einer sogenannten medizinischen Indikation vorgenommen werden dürfen. Solche Abtreibungen waren auch schon vorher möglich und sind meist die Folge von pränataldiagnostischen Untersuchungen (PND) – nämlich dann, wenn deren Ergebnisse auf „Schädigungen“ des Fötus, also mögliche Behinderungen des Ungeborenen hinweisen.
Seit der Gesetzesänderung müssen Ärzt_innen nun, wie bei Abbrüchen vor der 12. SSW , der Schwangeren eine „ergebnisoffene“ Beratung anbieten. Diese können die Beratung ablehnen. Neu ist auch, dass (sofern keine unmittelbare Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht) vor der Ausstellung einer sogenannten medizinischen Indikation, die dann die Abtreibung ermöglicht, eine Bedenkzeit von drei Tagen bis zum Abbruch eingehalten werden muss. Diese Bedenkzeit soll dazu dienen, dass Frauen sich umfassend informieren können und nicht in einem „Schockzustand“ eine Entscheidung treffen. Diese Gesetzesänderung wurde auch von Abtreibungsgegner_innen und christlichen Fundis gepusht, denen jede Verschärfung des Abtreibungsverbotes recht ist.

Solange Behinderung gesellschaftlich als zu vermeidender Zustand der Abhängigkeit und des Autonomieverlustes gilt, wird sich an der Praxis von Abtreibungen nichts ändern. Denn dass diese Vorstellung auch von schwangeren Frauen geteilt wird, wundert nicht. Es geht um „Leidvermeidung“ und Vermeidung von Behinderung, und um das Ideal eines allseits funktionierenden und leistungsfähigen Wunschkindes. Die Weiterentwicklungen in der Pränataldiagnostik und der Reproduktionsmedizin eröffnen dafür viele neue Möglichkeiten. Frauen werden immer mehr für die Gesundheit und Qualität ihres Nachwuchses zur Verantwortung gezogen und unter Druck gesetzt. Die staatliche Regulierung von Abtreibungen und Spätabtreibungen schränkt nicht nur die reproduktiven Rechte von Frauen ein, sondern wirkt auch stark individualisierend. Die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch liegt bei den Frauen, denn ihnen wird die Verantwortung für Möglichkeiten und scheinbare „Notwendigkeiten“ der Selektion zugewiesen. Bestimmte Untersuchungen abzulehnen, wird zunehmend schwerer.

Wir kritisieren die Instrumentalisierung von Spätabtreibungen durch christliche Fundis wie selbst ernannte Lebensschützer_innen, deren Argumentation in erster Linie darauf zielt, die Rechte von Frauen einzuschränken und nicht darauf, dass Leben behinderter Menschen zu verbessern. Denn was nach der Geburt passiert, scheint sie weniger zu interessieren.
Wir lehnen die Unterscheidung in „gesunde“ und „geschädigte“ Körper ab. Forderungen uneingeschränkter reproduktiver und sexueller Rechte von Frauen müssen die Kritik an implizierten „eugenischen“ Mechanismen bei Schwangerschaftsabbrüchen nach PND mit einbeziehen!
Wir wollen nicht, dass Frauen zu Entscheidungen für oder gegen Abtreibungen gedrängt und hinterher für ein gesellschaftliches Problem (die Diskriminierung und gesellschaftliche Abwertung behinderter Menschen) zur Verantwortung gezogen werden. Wir wollen Informationen für schwangere Frauen über das Leben mit Behinderung, die die Sichtweise der davon Betroffenen mit einbeziehen. Wir wollen mehr finanzielle Hilfen für Eltern behinderter Kinder.
Wir wollen wir eine Gesellschaft, in der Behinderung nicht als zu vermeidendes „Problem“ gilt!

Für das Recht auf Abtreibung, Behinderung und Krankheit!

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