Wir sind eine Gruppe von Leuten mit und ohne Behinderung. Manche von uns sind Nutzer_innen von Persönlicher Assistenz, manche nicht. Wir alle finden die aktuelle Ausstellung in der Galerie Zeitzone „Jenseits des Helfersyndroms II – Künstlerische Positionen zu Careworking und Assistenz“ diskriminierend, geschmacklos und herabwürdigend.
Die Ausstellung und die zugehörige Plakat- und Postkartenkampagne nimmt Bezug auf die Arbeitsbedingungen von Assistent_innen. Sie kritisiert zu niedrige Löhne und eine mangelnde gesellschaftliche Anerkennung für eine belastende Arbeit. Die Ausstellung wurde von einer Gruppe innerhalb des Betriebsrates von Assisten_innen des Vereins Ambulante Dienste e.V. kuratiert. Sie ist eine Nachfolgeaktion des „Scheiß-Streiks“ im vergangenen Jahr. Im Rahmen dieses Streiks wurden Institutionen und Arbeit“geber“ im Pflege- und Assistenzbereich mit was auch immer befüllte Kotröhrchen zugeschickt. Die aktuelle Ausstellung bezieht auf die anstehenden Verhandlungen zur Vergütung von Assistenz zwischen Senat und Assistenzdiensten in Berlin (www.jenseits-des-helfersyndroms.de).
Eine „behindertensichere“ Ausstellung
Die Lohnforderungen der Assistent_innen halten wir für sehr berechtigt, eine Lohnsteigerung ist lange überfällig und notwendig. Assistenz ist ein zuweilen körperlich und emotional anstrengender und in der Sache komplexer Job mit Nacht- und Schichtarbeit. Die Bezüge neu eingestellter Assistenzkräfte liegen knapp über dem Mindestlohn. Dennoch finden wir die Art und Weise, mit welchen Bildern von Behinderung die Ausstellung den Forderungen Nachdruck verleihen, zum Kotzen.
Zu sehen sind hier Bettlaken mit Kackflecken, Menschen mit Schutzkleidung und Hygienemasken, die einen Leitfaden zum Umgang mit multiresistenten Bakterien in der Hand halten. Ein anderes Bild stellt das Pflegetagebuch eines Assistenzteams dar. Das verstörendste Bild zeigt den Unterkörper eines Rollstuhlfahrers, dessen Arm schlaff herunterhängt. Auf dem Boden liegt eine leere Wodkaflasche, im Hintergrund geht eine andere Person aus dem Zimmer.
Auf den Plakaten steht: „Ich arbeite als Bewegungs- und Atemtherapeut, als psycho-sozialer Einzelfallhelfer, als Computerfachmann, Koch, Sterbebegleiter, Animateur, u. v. m. Bezahlt werde ich als ungelernte Hilfskraft. Arm ist sexy? Behinderung nicht. Assistenz ist geil ab 11,50 €.“ Auf einer Postkarte, auf der eine Frau mit einer vollen Urinflasche in der Hand in die Kamera lächelt, ist zu lesen: “Natürlich schauen mich die Leute oft komisch an: ‚Behindertenassistenz? Das könnte ich nicht.’ Und wenn ich dann noch gefragt werden, was ich verdiene, wechsele ich lieber ganz schnell das Thema”.
Zur Ausstellungseröffnung am 30. September 2010 kamen neben den Kurator_innen und Assistent_innen auch viele Leute mit Behinderung, die meisten von ihnen Nutzer_innen von Assistenz. Die Initiator_innen hatten sie auf der zuvor stattgefundenen Podiumsdiskussion zwischen Assistent_innen, Assistenz-Nehmer_innen und Vertreter_innen des Berliner Senats dazu eingeladen. Dass Leute im (Elektro-) Rolli in die Galerie wollten, war offenbar trotzdem nicht vorgesehen. Die Galerie Zeitzone ist nicht barrierefrei: Am Eingang gibt eine sehr steile halbe Treppe, die auch eine waghalsige Rampenkonstruktion nicht sicher überbrückte.
Innen sind für Rollifahrer_innen nur die großformatigen Plakate zu sehen – der Rest, z.B. Begleittexte, hängt weit oben an Wänden, die nur über mehrere Stufen erreichbar sind. Über den “Scheiss-Streik” konnte man sich nur an einem Stehtisch informieren.
Die Initiator_innen sagten, sie hätten keine bezahlbare barrierefreie Galerie gefunden. Uns überzeugt das nicht. Für uns ist die Botschaft klar: Diese Ausstellung richtet sich eindeutig nur an nichtbehinderte Menschen, Menschen mit Behinderung gehören nicht zur Zielgruppe.
Diese Missachtung behinderter Menschen zeigt sich für uns auch in den Bildmotiven. Behinderte Menschen tauchen dort nur als Objekte von Pflege auf. Sie machen Arbeit, Dreck, Sorgen, beuten und nutzen andere aus und erzeugen Ekel. „Sexy“ sind sie dabei natürlich nicht. Bedient wird ein Bild von Behinderung, das wir zuhauf in Medien und Alltag finden. Wir hätten nicht erwartet, dass Leute, die sich täglich in ihrer Lohnarbeit mit Behinderung auseinandersetzen und von denen jeder mindestens einen Menschen mit
Behinderung ziemlich gut kennt, solche Stereotypen reproduzieren.
Diskriminierende Stereotypen bedient
Das Alkoholiker_innenstereotyp (Wodkaflasche!) ist diskriminierend, egal wie häufig oder selten Alkoholismus bei Menschen mit Behinderung vorkommt.
Völlig offensichtlich wäre dies, würden Angestellte in der Drogentherapie, der Obdachlosenhilfe, oder im Strafvollzug dadurch auf ihre Arbeitsbedingungen aufmerksam machen, dass sie Probleme einzelner Leute, mit denen sie arbeiten, reißerisch plakatieren. Das Stereotyp überzeichnet die Tatsache, dass es vielen Leuten mit Behinderung nicht besonders gut geht mit ihrem Leben und manche das mit Alkohol oder Drogen bekämpfen. Dabei assistieren zu müssen, ist sicher extrem unangenehm. Einsätze können im Einzelfall nervenaufreibend, kraftraubend und grenzüberschreitend sein, vor allem bei Personalmangel. Früher war Assistenz ein klassischer Studierendenjob, doch seit Bachelor und Master haben die meisten Studierenden keine Zeit mehr für Lohnarbeit mit wechselnden Arbeitszeiten.
Dadurch geraten die Assistenzdienste immer mehr unter Druck bei der Teamzusammensetzung und vor allem der Kostenkalkulation; manche Assistenznehmer_innen müssen Leute akzeptieren, mit denen sie vielleicht nicht so gut klar kommen. Asssistenz zu leisten, wenn sowohl Assistent_innen als auch Assistenznehmer_innen sich nicht wohl miteinander fühlen, ist für beide Seiten eine Zumutung.
Was ist eigentlich Assistenz?
Persönliche Assistenz ist aus der emanzipatorischen Krüppel- und Behindertenbewegung hervorgegangen und hat diese möglich gemacht. Sie bezeichnet ein Verhältnis zwischen Assistent_innen und Assistenznehmer_innen, also den Leuten mit Behinderung, die Assistenz nutzen. Die Assistenz_nehmerinnen leiten die Tätigkeit der Assistent_innen an. Dadurch kehrt sich das überholte “Betreuungsverhältnis” um: Es gibt keine nichtbehinderten Expert_innen mehr, die den “Betreuten” sagen, was gut für sie ist, sondern die Assistenznehmer_innen entscheiden selbst. Es geht nicht um Hilfe, klassische Pflege oder medizinische Versorgung. Die Assistant_innen ersetzen die Funktionen, die durch die Behinderung fehlen.
Assistenz ermöglicht ein Leben nach eigenen Vorstellungen und in der eigenen Wohnung. Assistenznehmer_innen können selbst bestimmen, wann sie aufstehen und schlafen gehen wollen, wann sie die Toilette benutzen, was sie essen möchten, wann sie das Haus verlassen und wann sie sich mit anderen treffen möchten. All das wäre im Heim kaum möglich. Damit ist Assistenz die Alternative zu Pflegeheimen oder bevormundenden Pflegediensten.
Das Konzept der Assistenz ist in der Öffentlichkeit immer noch recht unbekannt. Wütend macht uns, wie Assistenz durch die Ausstellung bekannt gemacht wird. “Assistent_innen? Ach, das sind doch die armen Schweine, die von den Behinderten immer ausgebeutet werden” könnte als reflexhafte Assoziation populär werden. Das wäre mehr als ärgerlich. Auch viele Assistent_innen sehen in ihrer Tätigkeit keine solche „Drecksarbeit“, auch
wenn sie Bezahlung und Arbeitsbedingungen kritisieren.
Zwar gibt es im Assistenzverhältnis immer Hierarchien, dennoch bietet es die Möglichkeit zu Kooperation, mit gemeinsamen Absprachen, Einvernehmlichkeit und gegenseitigem Respekt. Dies kann nur gelingen, wenn beide Seiten ihre Rollen reflektieren und kommunizieren. Wenn das nicht möglich ist, brauchen beide Seiten Unterstützung. Hier haben viele Assistenzdienste womöglich eine Entwicklung verschlafen: Viele älter werdende Menschen mit Assistenzbedarf werden zunehmend kränker, schwächer, oft so, dass sie ihre Rolle als anleitende Assistenznehmer_in nicht mehr ausüben können. Dann kann sich die Rollenverteilung auch umkehren in das altbekannte Muster “Betreuer_in – Betreute_r”. Dies hätte aber nichts mehr mit Assistenz zu tun. Auch die von den Assistent_innen beklagte Funktion als “Atemtherapeutin, Computerexpterin, Sterbebegleiterin” usw. entspricht nicht der Idee der Assistenz. Rutscht ein Arbeitsverhältnis in so eine Situation, brauchen beide Supervision und vielleicht auch
professionelle Begleitung.
Assistenz ist die Sache aller Beteiligten!
Wir finden die in der Ausstellung nahegelegte pauschale Unterstellung beleidigend, einen Animateur nötig zu haben oder jemanden, der unser Leben für uns auf die Kette kriegt. Uns nervt die Opferhaltung, die die Ausstellung zum Ausdruck bringt: “Die“ Behinderten „versklaven” ihre Assistent_innen für einen Hungerlohn, und infizieren sie mit multiresistenten Keimen. Da zeigt sich uns das alte gesellschaftliche Bild, das Nichtbehinderte als Retter_innen der Behinderten zeigt, die sich ihrer Rettung wiederum als unwürdig und undankbar erweisen. Die Anerkennung, die die Initiator_innen der Ausstellung fordern, ist verständlich, ihre Präsentation zeugt aber auch von einem schrägen Bild von Assistenz, fast so, als kehrte das alte Betreuer_innenmodell zurück. Dies entspräche den allgemeinen Entsolidarisierungstendenzen. Wir finden aber: Assistenz und der Einsatz für höhere Entgelte ist und bleibt die Sache von allen Beteiligten! Spalterischen und stigmatisierenden Kampagnen werden wir uns deshalb entgegenstellen.