Samstag Abend. Zeit für Party. Der Flyer für die ultimative Szeneparty liegt auf dem Tisch. Jetzt muss nur noch entschieden werden, ob ich da wirklich hin will. Klar, ich muss. Samstag zu Hause bleiben geht ja nicht. Verpass ich was, wenn ich nicht hingehe? Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht doch – abtanzen zu lauter Musik auch mal wieder Kopf frei und auspowern, Freund_innen treffen. Aber wer wird überhaupt da sein und irgendwie bin ich grad gar nicht in so „socializing“-Stimmung. Ich bin eine schlechte Small-Talkerin, fühl mich voll schnell verunsichert, viele halb-bekannte Gesichter zu treffen… Aber was muss, das muss. Also los. Ich entscheide mich fürs Fahrrad, so kann ich nicht am Ostkreuz hängen bleiben, wenn später keine Bahn mehr fährt. Vorher schön in großer Runde Alkohol vorkonsumieren. Wenn ich jetzt schon zur Party fahre, ist eh keine_r da und dann abhängen auf ner leeren Party?….. Eine gute Party beginnt nicht vor 0.30 Uhr und ist nicht vor sechs zu Ende, am Sonntag ist dann eben nicht viel los. So schaff ich es dann doch wirklich, noch auf der Party zu landen. Viele Menschen vor der Tür, ich schau mich um und kenn erstmal niemanden. Doch wieder gehen? Nee, erstmal ‚n Bier kaufen und eine Zigarette rauchen. Sieht immer schwer beschäftigt aus. Also rein in den Keller zum Elektrostampf. Dunkle Räume, enge Gänge, nur ab und zu erhellt durch das Zucken eines Strobolichtblitzes. Rauch liegt in der Luft und der Geruch von Alkohol. Plötzlich entdecke ich ne Person im Rollstuhl. Ich muss kurz hinschauen und frag mich, wie diejenige hier runtergekommen ist. Aber nicht zu lang hinschauen, das wirkt ja komisch…
Was guckt die mich denn so lange an?
Schon wieder eine, die mich verwundert anstarrt und die Sekunden zählt, bis sie wieder wegschaut, damit mir das nicht auffällt. Aber gerade dieses Wegschauen macht sie auffällig. Denn sie mustert mich aus dem Augenwinkel trotzdem, und das merke ich. Ganz schön anstrengend, solche Situationen, zuerst der Stress, überhaupt zur Party zu kommen. Wie kann ich mich da bewegen? Wie sind die Räumlichkeiten? Wo die Klos? Wenn das dann geschafft ist, irgendwie darauf zu regieren, immer wieder viele Blicke auf sich zu ziehen….
Im Kontakt von Menschen (nicht nur) mit und ohne Behinderungen spielen oftmals viele Verunsicherungen und Ängste eine Rolle, etwas falsch zu machen oder sich blöd zu verhalten: Was darf ich sagen? Was denkt mein Gegenüber? Wie verhalte ich mich „richtig“? Soll ich Unterstützung anbieten oder ist das bevormundend? Muss ich immer um Unterstützung bitten? Ängste und Unsicherheiten spielen auch beim Thema Barrierefreiheit eine wichtige Rolle. Es gibt so viele Möglichkeiten, Dinge falsch zu machen. Ausschlüsse und die Angst davor widersprechen oftmals den eigenen Ansprüchen, eben alles „richtig“ machen zu wollen und gerade nicht ausgrenzend zu sein. Es ist nicht so einfach, sich selbst einzugestehen, diskriminierend zu sein oder zu agieren. Die eigenen Ansprüche können Verunsicherungen in Situationen auslösen und verstärken. So bewirken sie oft, was sie eigentlich verhindern sollen: Mehr Unsicherheit und weniger Entspanntheit.
Ausschlüsse können von verschiedenen Personen sehr unterschiedlich erlebt werden. Oft sind sie verletzend, manchmal aber auch nicht. Bei der Männergruppe nicht dabei zu sein, ist für manch eine Feminist_in vielleicht eine Freude. Sie muss sich ja nicht immer mit allen Dingen beschäftigen. Nicht zu einer Veranstaltung zu können, die spannend ist und auf der sich viele nette Menschen rumtreiben, Freund_innen gar – das ist schon ein verletzender Ausschluss. Und der Grad der Verletzung hängt natürlich auch von den Erfahrungen ab, die die ausgeschlossene oder sich ausgeschlossen fühlende Person bereits gemacht hat. Wenn ich immer ausgeschlossen werde, dann ist das vielleicht schwerer wegzustecken, als wenn es ein einziges Mal passiert. Wenn klar ist, dass sich Menschen um Barrierefreiheit bemühen, es aber nicht perfekt klappt, dann ist das etwas anderes, als wenn noch nicht mal die Frage auftaucht, welche Barrieren bestehen.
Unsicherheiten lassen sich in vielen Situationen schwer vermeiden, aber sicherlich verändern, entspannen und entdramatisieren! Und, wer hätte es gedacht, Kommunikation ist wichtig:
Ängste entstehen auch in Situationen, die nicht oder nur wenig einschätzbar sind. Was ist in einer bestimmten Situation erwartbar? Auf was muss mensch sich einstellen? Es ist oft hilfreich, sich vorher über die eigenen Unsicherheiten auszutauschen und zu überlegen, welche Situationen entstehen können und wie mit ihnen umgegangen werden kann. Manchmal macht auch eine „Nachbesprechung“ Sinn. Der Austausch über Ängste muss ja nicht unbedingt in der akuten Situation und zwischen den jeweiligen Personen erfolgen. Vielmehr geht es darum, Verunsicherungen anzuerkennen, um mit sich selbst entspannter umzugehen.
Und wenn ihr verunsichert seid oder Fragen habt, sprecht die betreffende Person selbst an! Oft passiert es, dass Nichtbehinderte mit nichtbehinderten Freund_innen, Assistent_innen oder anderen Begleitpersonen der betreffenden Person sprechen. Der Austausch darüber, was in einer Situation wichtig ist, findet dann nicht mit der behinderten Person statt, es wird über sie statt mit ihr direkt gesprochen.
Das ist mittlerweile wohl klar: Kommunikation über Emotionen ist sehr wichtig, aber auch schwierig. Die Reflexion und der Austausch über Ängste und Unsicherheiten können für die einen wichtig und für die anderen nervig sein. Wer ständig ausgeschlossen wird, möchte sich vielleicht nicht immer auf Erklärungen einlassen. Wer ständig gezeigt und gesagt bekommt, dass ihre_seine Anwesenheit ambivalente Gefühle und Unsicherheiten auslöst, möchte vielleicht nicht immer zuständig dafür sein, für gute Stimmung zu sorgen. Überlegt euch also, mit wem ihr über eure Ängste redet und vor allem wann. Und überlegt euch, warum ihr eure Ängste thematisiert: damit ihr das nächste Mal alles richtig macht und euch politisch korrekt verhaltet? Weil Ängste einfach unangenehm sind? Weil ihr etwas lernen wollt? Weil ihr aufgeschlossen und interessiert wirken wollt? Von allem ein bisschen? Und wenn ihr schon am Reden seid: Bedenkt, dass andere Leute vielleicht auch Ängste und Unsicherheiten haben. Fragt nach.
Bevor hier erstmal genug von Ängsten die Rede war, noch ein Hinweis für unsere nichtbehinderten Leser_innen: Die „Angstgrenze“ verläuft nicht zwischen euch und den Leuten, die behindert werden. Angst haben und unsicher sind alle. Wenn unklar ist, wie Interaktion und Kommunikation funktionieren, dann ist es egal, wie stark oder oft man behindert wird.
Das mit der Angst ist so eine Sache. Irgendwie sind wir alle dabei darauf angewiesen, dass uns andere damit helfen. Das Bemühen um mehr Barrierefreiheit kann aber ein Schritt sein, über Ängste vor Ausschlüssen nachzudenken und etwas dagegen zu tun. Es ist ein Weg, auch individuell gegen strukturelle Barrieren anzugehen.