In den letzten Jahren werden immer mehr Veranstaltungen in der linksradikalen, queer-feministischen Szene in Gebärdensprache gedolmetscht und somit Tauben1 Menschen zugänglich gemacht. Ein Recht auf Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher_innen ist gesetzlich geregelt. Ein Anspruch auf Gebärdensprachdolmetscher_innen gilt nur für den öffentlichen Bereich (z. B. Ärzt_innenbesuche, Ämtergänge, Ausbildung und Studium, Beruf, Gericht, etc.). Dieser kann allerdings mit der Begründung, das Budget sei ausgeschöpft, außer Kraft gesetzt werden. Nähere Informationen findet ihr unter: http://www.dgsd.de/.
Im Freizeitbereich haben Taube Menschen überhaupt keinen gesetzlichen Anspruch auf Dolmetscher_innen. Somit müssen Anträge bei Stiftungen gestellt werden. Diesen Zeitaufwand können die meisten Veranstalter_innen, die hauptsächlich ehrenamtlich arbeiten, selten aufbringen. Weiterhin sind die Kostensätze für Dolmetscher_innen sehr hoch und das Honorar kann nur schwer über Eintrittsgelder zusammengetragen werden.2
Ich studiere Gebärdensprachdolmetschen und werde des Öfteren angefragt, ob ich Veranstaltungen dolmetschen könnte. Meine Ablehnung begründe ich damit, dass ich mich noch in Ausbildung befinde und Dolmetschen eine anspruchsvolle Tätigkeit ist. Außerdem haben Taube Menschen meiner Meinung nach ein Recht auf eine professionelle Verdolmetschung. Nur so kann eine ausreichende Teilhabe an der Veranstaltung garantiert werden. Dies ist beispielsweise in der Berufs- und Ehrenordnung festgelegt:
„GSD/Ü“3 werden nur in solchen Sprachen, Sprachvarianten, Kommunikationssystemen sowie Sachgebieten tätig, in denen sie über ausreichende Kenntnisse verfügen bzw. sich diese im Rahmen der Vorbereitung verschaffen können. Auch tragen sie dafür Sorge, dass sie die für den jeweiligen Auftrag erforderlichen Arbeitstechniken beherrschen. Sobald GSD/Ü erkennen, dass ein Auftrag ihre derzeitigen Fähigkeiten übersteigt, bringen sie dies allen Beteiligten zur Kenntnis.“
Die Erarbeitung einer Berufs- und Ehrenordnung für Gebärdensprachdolmetscher_innen geht unter anderem aus der Geschichte und Entwicklung dieses Berufsbildes hervor. In den Anfängen haben hauptsächlich Sonderpädagog_innen, Mitarbeiter_innen aus dem kirchlichen Bereich und Familienangehörige gedolmetscht. Das Anliegen der Tauben Person wurde vorher erfragt und von der_dem Hörenden vorgebracht und verhandelt. Die_der Taube bekam meistens nur eine grobe Zusammenfassung des Gesagten. Mit dieser audistischen4 und grenzüberschreitenden Verhaltensweise wurde die Einflussnahme der Tauben Person auf den Verlauf und das Ergebnis des Gesprächs verhindert. Ende der 80er gründeten sich die ersten Berufsverbände von Gebärdensprachdolmetscher_innen, die einen professionellen Anspruch für die Ausübung ihrer Tätigkeit vertraten. Begriffe wie Unabhängigkeit, Gewissenhaftigkeit, Unparteilichkeit, Verschwiegenheit und vor allem Professionalität sowie verschiedene Dolmetschmodelle wurden diskutiert. Anfang 2000 entstanden erste Ausbildungsgänge, die eine Qualität beim Dolmetschen sicherstellen sollten. Diese Entwicklung war für die Emanzipationsbewegung von Tauben Menschen sehr wichtig und muss bei der Ausgangsfrage berücksichtigt werden.
Veranstalter_innen weisen mich nach meiner Ablehnung auf Ihre Schwierigkeiten, Anträge zu stellen und auf ihren Wunsch, die Veranstaltung barriere-ärmer zu gestalten, hin. Da sei eine Person in Ausbildung doch besser als gar keine Dolmetscher_in. Aufgrund der prekären Situation, dass die Bewilligung von Gebärdensprachdolmetscher_innen ein harter Kampf ist, sehen dies zum Teil auch Taube Menschen so. Daher habe ich für Freund_innen bereits auf Veranstaltungen gedolmetscht. Dennoch sehe ich die Gefahr, dass der bequemere Weg, Auszubildende oder DGS-kompetente Menschen als Dolmetscher_innen einzusetzen, gewählt und damit der Kampf für die Ausweitung der Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher_innen, zum Beispiel im kulturellen Bereich, vernachlässigt wird.
Soliveranstaltungen, auf denen Organisator_innen, Performer_innen, Referent_innen, etc. ehrenamtlich arbeiten, sind Veranstalter_innen häufig der Meinung, dass es ungerecht ist, in diesem Fall Gebärdensprachdolmetscher_innen als Einzige für ihre Leistung zu bezahlen. Dies finde ich nachvollziehbar. Leider gibt es nur wenig professionelle Dolmetscher_innen, die bereit sind, kostenfrei zu dolmetschen, und hier muss mensch sich entscheiden, ob die Veranstaltung Tauben Menschen zugänglich gemacht werden soll. Letztendlich sind sie es, die davon betroffen sind.
In Bezug auf meine Ausgangsfrage fände ich es sinnvoll, sich mit Tauben Menschen zusammenzusetzen, um deren Bedürfnisse und Ansichten in die Diskussion und Entscheidungen einzubeziehen.
Fußnoten:
1 Der Begriff „Taub“ wird derzeit diskutiert und soll gehörlos ersetzen, da dieser von vielen als negativ empfunden wird (-los im Sinne eines Defizits und gehör- rückt den Hörstatus in den Mittelpunkt anstatt des kulturellen Selbstverständnisses) Taub soll in Anlehnung an Deaf Verbreitung finden. Dieser Bezeichnung liegt keine medizinische Sichtweise zugrunde, die sich nach dem Hörstatus richtet, sondern bezieht sich auf die kulturelle Identität dieser Menschen. Daher schreibe ich Taub mit großem Anfangsbuchstaben. Dieser Begriff impliziert verschiedene Taube Lebensweisen und Identitäten und schließt daher Taube, gehörlose, schwerhörige, CI-Träger_innen, spätertaubte Menschen ein.
2 55 € pro Stunde, Fahrtzeit und die Fahrtkosten. Für Dolmetschen auf performativen Veranstaltungen, für Musikgruppen, etc. wird meist eine Vorbereitungspauschale in Rechnung gestellt. Auf Konferenzen oder Großveranstaltungen, wo mehrere Dolmetscher_innen im Einsatz sind, wird eine Koordinationspauschale berechnet. Rechtliche Grundlage für die Berechnung und Übernahme der Kosten: Das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache für hörgeschädigte Menschen ist u. a. geregelt im SGB IX, sowie im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG – Abschnitt 2 § 9). Für die Vergütung des Gebärdensprachdolmetschers wird u. a. laut § 19 SGB X sowie der Kommunikationshilfeverordnung (KHV) das Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) angewandt. Nach § 9 Abs. 3 JVEG wird das Honorar des Dolmetschers mit 55,00 € pro Stunde beziffert. Dies bemisst sich lt. § 8 Abs. 2 nach der erforderlichen Zeit, die der Dolmetscher insgesamt aufwenden musste. Hierzu gehören neben der eigentlichen Dolmetschertätigkeit insbesondere auch die Reisezeit (z. B. Hin- und Rückfahrt zum und vom Einsatzort), die Wartezeiten sowie ggf. Ruhepausen.
3 Gebärdensprachdolmetscher_in/Übersetzer_in
4 Audismus: Die Diskriminierung von Tauben Menschen und Taubenkultur sowie Gebärdensprachen.